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Die unsichtbare Brille - Wie Glaubenssätze unser Leben lenken
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Jeder Mensch trägt tiefe Überzeugungen über sich selbst, seine Mitmenschen und die Welt in sich. Diese Glaubenssätze sind die Brille, durch die jeder dann seine eigene Realität sieht. Wie kommen die Glaubenssätze in uns? Kann man negative Glaubenssätze löschen und welche Auswirkungen haben sie auf unsere Beziehungen? Von Victoria Marciniak
Credits
Autorin dieser Folge: Victoria Marciniak
Regie: Sabine Kienhöfer
Es sprachen: Andreas Neumann, Marlen Reichert
Technik: Andreas Lucke
Redaktion: Bernhard Kastner
Im Interview:
Joschiko-Emily Eckstein, arbeitet im Bereich HR
Franca Cerutti, Psychotherapeutin;
Dr. Raquel Peel, Soziologin
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Wie wir ticken - Euer Psychologie Podcast
Wie gewinne ich die Kraft der Zuversicht? Warum ist es gesund, dankbar zu sein? Der neue Psychologie Podcast von SWR2 Wissen und Bayern 2 Radiowissen gibt Euch Antworten. Wissenschaftlich fundiert und lebensnach nimmt Euch "Wie wir ticken" mit in die Welt der Psychologie. Konstruktiv und auf den Punkt. Immer mittwochs, exklusiv in der ARD Audiothek und freitags überall, wo ihr sonst eure Podcasts hört.
ZUM PODCAST
Linktipps:
Harvard-Studie HIER
Podcast "Psychologie to go" HIER
„The relationship sabotage scale: an evaluation of factor analyses and constructive validity“ HIER
TED-Talk von Dr. Raquel Peel HIER
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Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
Sprecher
Ein zerknülltes gelbes Post-it aus ihrer Schulzeit. Es liegt sicher versteckt in einem Schuhkarton in ihrem Zimmer. An den kleinen Zettel wird Emily noch sehr oft denken. Auch heute. An einem gemütlichen Abend im Dezember. Weihnachtszeit. Und die Psychologie-Studentin Emily sitzt in der WG-Küche ihrer drei besten Freundinnen und trinkt eine heiße Tasse Tee. Sie philosophieren über Gott und die Welt; und irgendwann unterhält Emily sie alle mit Anekdoten aus den unterschiedlichsten Theaterstücken, in denen sie mitgespielt oder die sie angeschaut hat. Ihre Freundinnen weinen vor Lachen.
O-Ton 01 Emily (00`06)
Das ist einfach so ein richtiger Moment von „Hey, hier bin ich angekommen.“ Ein 10 von 10 Abend.
Sprecher
Eine 10/10, also volle Punktzahl für den scheinbar perfekten Abend. Zumindest – bis Emily sich von ihren Freundinnen verabschiedet. An der Haustür sagen sie sich noch, wie schön der gemeinsame Abend gewesen ist und dass sie sich ganz bald wiedersehen müssen. Sie umarmen sich, Emily dreht sich um, dann fällt die Tür hinter ihr ins Schloss (Atmo: Tür geht zu):
O-Ton 02 Emily (00`55)
Und dann ist es wirklich so mit einem Mal, dass auf einmal mir mein Kopf so ein Querpass schießt und dann sagt „Moment mal, aber war es wirklich so geil, wie du dachtest? Oder war es vielleicht nur für dich geil, weil du wieder die ganze Zeit geredet hast? Und ist dieses: Hmm, hast bestimmt allen erzählt, dass du total viel Theater gespielt hast. Meinste die hat das interessiert?“ Und dann versuche ich noch zu sagen „Nee, aber es wird ja auch ganz oft nachgefragt und die haben ja total viel gelacht, als ich auch diese Story erzählt hab.“ Und dann kommt sofort dieses „Hmm, nennt sich Höflichkeit, nennt sich Sozialkompetenz, was andere Leute haben.“ Und es ist ganz krass, weil mit jedem Schritt, den ich gehe und den ich mich halt weiter aus dieser Situation entferne, verliere ich dann irgendwie den Zugang zu dieser Situation. Und dass ich dann wirklich auf diesem Weg nach Hause auf einmal anfangen musste zu weinen, weil ich das Gefühl hatte „Hey, ich bin ein Riesenarschloch.“
Atmo (Schritte und Wind)
Musik: Train journey 0‘22
Sprecher
Vier Kilometer – So weit läuft Emily von der WG ihrer Freundinnen zu sich nach Hause. Sie muss den Kopf frei kriegen. Aber ihr Kopf spielt immer und immer wieder Szenen ab, wie sie ihre Freundinnen unterbricht, wie sie zu laut lacht, wie sie zu viel Aufmerksamkeit fordert. Sie holt ihr Handy aus der Tasche und noch auf dem Weg nach Hause schreibt sie weinend ihren Freundinnen Text-Nachrichten, in denen sie sich entschuldigt (erst SFX Handytastatur-Tippen und dann Nachrichten-Pling vor jedem „Sorry“): Sorry, dass ich so viel übers Theater geredet habe. Sorry, dass ich zu laut war. Sorry, dass ich dich unterbrochen habe. Sorry, dass wir so lange über meine Geschichte geredet haben. Sorry... Pling, Pling, Pling
*bisschen längere Pause*
O-Ton 03 Franca Cerutti (00‘16)
Glaubenssätze haben häufig so eine konditionale Struktur, die uns sehr stark nahelegen, wie wir sein sollen oder wie wir uns verhalten sollen. Wenn ich immer lieb bin oder immer höflich bin, dann werde ich geliebt.
Sprecher
Franca Cerutti ist Psychotherapeutin und Psychologie-Podcasterin.
Eines ihrer Lieblingsthemen: Glaubenssätze, also feste Überzeugungen, die jeder Mensch in sich trägt. Aber eigentlich, sagt sie, sind es eher ganze Glaubenssysteme.
O-Ton 04 Franca Cerutti (00`27)
Also ein Glaubenssatz, der mich selber betrifft, könnte ja zum Beispiel lauten: „Ich muss fleißig sein und leistungsstark, um Anerkennung zu bekommen.“ Und der ist aber vielleicht verknüpft mit einem Glaubenssatz, der dann eher so die gesamte Gesellschaft betrifft. Der lautet dann so was wie „Ohne Fleiß kein Preis“. Und das ist wiederum geknüpft an so eine gesamtgesellschaftliche Erwartung.
Musik: Mansplaning 1‘00
Sprecher
Also: Glaubenssätze stehen nicht isoliert da. Sie hängen oft eng mit anderen Glaubenssätzen zusammen. Und dieses Glaubenssystem bestimmt die Art und Weise, wie man sich selbst, Beziehungen und das Umfeld bewertet und einsortiert.
O-Ton 05 Emily (00`18)
Der Glaubenssatz von mir, der sich eigentlich in allen anderen Glaubenssätzen von mir auch widerspiegelt, ist: Ich bin zu viel. Also dieses ich bin too much. Ich bin zu viel. Ich brauche zu viel Aufmerksamkeit oder ich fordere zu viel Aufmerksamkeit. Ich glaube, das ist eigentlich das, was es ganz, ganz gut zusammenfasst.
Sprecher
Nicht nur Emily – Alle Menschen weltweit haben Glaubenssätze bzw. Glaubenssysteme in sich. Sowohl gute wie „Ich bin genug“, „Die Welt ist ein schöner Ort“ oder „Ich kann anderen vertrauen“. Aber eben auch negative Glaubenssätze. Und die haben alle – auch die ganz großen Stars.
O-Ton 06 Franca Cerutti (00`45)
Ich habe irgendwann mal gelesen, dass das Topmodel Kate Moss, die ja nun wirklich, wie gesagt ein weltbekanntes Topmodel war und mit ihrem sehr guten, überdurchschnittlichen Aussehen Geld verdient hat. Das war ihr Beruf. Dass sie dennoch tiefe Glaubenssätze hatte, sie sei unattraktiv und sie hätte ein hässliches Gesicht. Und ich finde, das zeigt noch mal sehr stark, wie unglaublich krass auch eigentlich das reale Leben und der Glaubenssatz auseinander gehen können.
Sprecher
Eine Frau, die glaubt, dass sie zu laut sei und eine andere, die glaubt, dass sie nicht schön genug sei. Typische Glaubenssätze von Frauen, sagt Psychotherapeutin Franca Cerutti. Sie erkennt in ihrer Praxis durchaus Unterschiede in den Glaubenssätzen von Männern und Frauen.
O-Ton 07 Franca Cerutti (00`25)
Keine Evidenz, nur mein Eindruck. Aber bei Männern habe ich häufiger leistungsbezogene Glaubenssätze. Da geht es dann häufig um nicht gut genug sein im Leistungssinn. Und bei Frauen geht es häufig um Beziehungen und Attraktivität. Als Mensch, als Partnerin. Oder wie gut bin ich als Mutter oder so. Schon sehr rollenspezifisch manchmal noch.
Musik: Genetics 0‘30
Sprecher
Negative Glaubenssätze können sich in banalen Alltagssituationen bemerkbar machen, wie: Am freien Tag unwichtige Aufgaben erledigen, anstatt zu entspannen, weil man das Gefühl hat, immer was leisten zu müssen. Oder sie zeigen sich nach einem Treffen mit guten Freundinnen. Aber woher kommt das Gefühl von Emily - selbst bei guten Freundinnen-, zu viel, zu laut, zu nervig zu sein?...
Pause-Atmo (Spannungsaufbau)
… Wie entstehen Glaubenssätze?
O-Ton 08 France Cerutti (00‘46)
Ich stelle mir das so vor, dass wenn wir groß werden in unserer Kernfamilie, aber natürlich auch in der Schule, im Umfeld, dass all das in uns immer so Informationen hinein träufelt. Ich denke da manchmal eine Tropfsteinhöhle, wo so nach und nach eben etwas hineintropft. Und wenn an einer Stelle immer wieder etwas rein geträufelt wird, dann bildet das irgendwann verhärtete Strukturen. Und damit meine ich übertragen jetzt auf die Psychologie, dass wenn ich immer wieder bestimmte Informationen darüber erhalte, wie ich bin oder sein soll, oder wie die Welt da draußen ist oder sein soll, dann verhärtet das auch in mir und bildet so was wie Stalaktiten und Stalagmiten.
Musik: What is it (reduced) 0‘37
Sprecher
Und diese Tropfen können aus den verschiedensten Richtungen kommen, zum Beispiel: immer wiederkehrende Kleinigkeiten im Alltag; implizierte Erfahrungen, wie die Beziehung der Eltern zu beobachten; sehr eindrückliche einmalige Ereignisse, wie zum Beispiel ein Trauma; vor allem aber entstehen Glaubenssätze in der Kindheit: Oft sind es auch unbedachte Sätze von Mama oder Papa, die an den Kinderohren hängenbleiben. So wie bei Emily.
O-Ton 09 Emily (00`45)
Und eine Situation, das weiß ich noch sehr, sehr genau. Da saß ich am Essenstisch und ich glaube, ich war sieben oder acht. Und ich habe sehr viel geredet. Und dann hat mein Vater irgendwann gesagt „Ja, aber was wolltest du denn jetzt eigentlich sagen?“ Und dann hab ich das halt noch mal gesagt und noch mal blumiger. Und mein Vater stand da: „Was wolltest du sagen? Was hast du? Was hast du jetzt gerade zum Gespräch beigetragen?“ Und natürlich hatte ich nichts beigetragen. Also im Endeffekt war das halt so eine erzieherische Maßnahme, wo mein Vater mir sagen wollte: okay, gut, hey, Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. Bei mir ist es so stark im Gedächtnis geblieben, weil ich hab mich so geschämt, weil ich halt so das Gefühl habe, ich wurde so vorgeführt.
Sprecher
Dieser Tropfen auf Emilys Glaubenssatz-Stalagmit ist ihr besonders in Erinnerung geblieben. Aber dem Tropfen gehen viele kleinere Tropfen voraus: dass Emily sprechen konnte, bevor sie laufen konnte; dass ihre Eltern wahnsinnig stolz darauf waren und dass die kleine Emily bei jeder Party ihrer Eltern eine große Attraktion war; dass es okay war, die Erwachsenen zu unterbrechen, weil alle so beeindruckt davon waren, wie gut sie für ihr Alter sprechen kann. Bis sie älter wurde und die Erwachsenen nicht mehr beeindruckt, sondern genervt waren, wenn sie unterbrochen wurden.
O-Ton 10 Emily (00`25)
Und ich weiß noch, ich habe das als Kind nicht verstanden, warum in manchen Situationen wars toll und dann war ich witzig und in wieder anderen Situationen war es dann total nervig und nee, und jetzt geh mal spielen und hör mal auf damit.
Das hat bei mir dann ganz, ganz häufig dazu geführt, dass ich einfach super, super große Angstzustände dann nach so sozialen Großveranstaltungen hatte, weil ich halt nie wusste, okay, ist das eine, wo ich reden darf oder eine, wo ich nicht reden darf.
Sprecher
Eine Studie um Vincent Felitti aus dem Jahr 1998 hat gezeigt: Wer sich eher an negative Momente aus der Kindheit erinnert, kämpft auch im Erwachsenenalter mit Problemen. Umgekehrt gilt: positive Erinnerungen machen das Leben leichter. ABER: Entwicklungsforscher von der University of Minnesota haben vor ein paar Jahren eine neue Studie vorgelegt. Die zeigt, dass sich erwachsene Kinder oft verzerrt an die Eltern-Kind-Beziehung erinnern. Und dabei scheint die aktuelle Beziehung einen großen Einfluss zu haben. Heißt also: Je besser man sich mit den Eltern in der Gegenwart versteht, desto positiver sind auch die Erinnerungen an die Vergangenheit.
O-Ton 11 Franca Cerutti (00`45)
Unterm Strich glaube ich inzwischen, dass man als Eltern im Grunde vieles auch unbeabsichtigt, vielleicht in Anführungsstrichen falsch macht, obwohl man in bester Absicht gehandelt hat. Ich glaube, dass manchmal Dinge, die man unbedacht sagt, das Kind in einem verletzlichen Zeitfenster ganz ungut erwischen können. Ich glaube aber auch, dass das Gegenteil stimmt, dass, wenn wir im Großen und Ganzen gut mit unseren Kindern sind, wir auch sehr viele gute Glaubenssätze mitgeben können.
Musik: Futuristic workflow 0‘30
Sprecher
… Übrigens ist es auch normal, sich nicht an so konkrete Situationen erinnern zu können, wie Emily das tut. Das ist auch gar nicht nötig, um die eigenen Glaubenssätze zu finden. Wer seine eigenen Glaubenssätze erforschen will, muss eigentlich nur eine Sache tun, nämlich: Sich selbst beim Denken beobachten.
O-Ton 12 Franca Cerutti (00’35)
Wann immer man sich beim Denken beobachtet, sich fragen: Stimmt das wirklich, was ich gerade denke? Oder könnte auch das Gegenteil der Fall sein? Oder würde das jeder so sehen? Ist das jetzt vielleicht ein Glaubenssatz von mir oder ist das so was wie eine absolute Wahrheit? Und häufig genug kommen wir dahinter, dass das natürlich eine erworbene Überzeugung ist und nicht etwa ein Naturgesetz.
*** Denkpause***
Sprecher
Das Gehirn liebt es, recht zu behalten – also tut es alles dafür, um nur das zu sehen, was unsere Glaubenssätze auch bestätigt. In der Kognitionspsychologie nennt man das: „Confirmation bias“.
O-Ton 13 Franca Cerutti (00`45)
Wenn ich von mir selber glaube, ich bin ungeschickt oder ich bin dumm oder so was, dann werde ich mich an 1.000 Situationen erinnern, die genau das scheinbar bewiesen haben. Und ich werde auch besonders aufmerksam sein für Situationen, die genau zu dieser Überzeugung passen. Und dadurch werde ich genau diese negative Überzeugung über mich selbst immer weiter festigen. Das es aber gleichzeitig wahrscheinlich 1.000 Gegenbeweise gibt, in denen ich sehr clever war oder überhaupt nicht ungeschickt. Genau diese Situation, die nicht zu meinem Glaubenssatz passen, die verarbeite ich nicht in der gleichen Tiefe. An die erinnere ich mich auch weniger und sie scheinen nicht die gleiche Macht über mich zu haben.
Musik: Mansplaning 0‘23
Sprecher
Negative Glaubenssätze können nicht nur für einen selbst, sondern auch für Freundschaften und die Partnerschaft problematisch sein. Nämlich dann, wenn der Mensch mit den negativen Glaubenssätzen anfängt, sich selbst und seine Beziehung unbewusst zu sabotieren.
O-Ton 15 Franca Cerutti (00‘43)
Also wenn zum Beispiel jemand sehr negative Beziehungsschemata hat, also sprich großes Misstrauen in Beziehungen und vielleicht einen Glaubenssatz, der lautet: Immer, wenn ich jemanden liebe, werde ich sowieso verlassen. Das hat vielleicht biografische Gründe, warum das jemand glaubt. Dann kann es passieren, dass aufgrund des großen Misstrauens und aufgrund der großen Angst, diese Beziehung jetzt zu verlieren, man ein ängstliches, misstrauisches Verhalten der Partnerperson gegenüber zeigt, was dann tragischerweise die Beziehung eigentlich sabotiert und was eigentlich genau dazu beiträgt, was man ja insgeheim fürchtet, nämlich dass man verlassen werden wird.
Sprecher
Negative Glaubenssätze sind also eine sich selbst erfüllende Prophezeiung – und sabotieren auch heimlich Partnerschaften. Mit Beziehungssabotage kennt sie sich aus:
O-Ton 16 Raquel Peel (00‘02)
Thank you so much for having me… (ausfaden/nicht übersetzen)
Sprecher
Dr. Raquel Peel. Sie lehrt Psychologie an der „University of Notre Dame“ in Australien und beschäftigt sich seit über zehn Jahren mit Paarbeziehungen. Sie weiß, was eigentlich hinter der Beziehungssabotage steckt:
O-Ton 17 Raquel Peel (00`43) /
VO-Weiblich:
Die treibende Kraft dafür ist höchstwahrscheinlich: Angst. In meinen Untersuchungen haben die Menschen immer wieder davon gesprochen, dass sie Angst davor haben, in einer Beziehung verletzt zu werden. Sie haben Angst vor Ablehnung, vor Verpflichtungen. Oft ist es auch so, dass so eine Angst in einer Beziehung dazu führt, dass wir Schutzstrategien entwickeln, um uns selbst und unsere Gefühle zu schützen.
Sprecher
Schutzstrategien, um nicht verletzt zu werden, können ganz unterschiedlich aussehen. Zum Beispiel, sich nicht ganz auf den Partner oder die Partnerin einlassen – und sich einen „Plan B“ warmhalten.
Musik: Ssecret proofs 0‘36
Raquel Peel weiß, wovon sie spricht, wenn es um Glaubenssätze und Beziehungssabotage geht: Sie wurde nach ihrer Geburt von ihren Eltern in einem öffentlichen Krankenhaus zurückgelassen – als Frühgeburt und ziemlich krank. Die Krankenschwester, die sich um sie kümmerte, hat sie schließlich zusammen mit ihrem Mann adoptiert. Peel sagt zwar, sie habe eine sehr liebevolle Familie. Trotzdem trage sie negative Glaubenssätze in sich.
O-Ton 18 Raquel Peel (00`36) /
VO-Weiblich:
Ich glaube, dass der Umgang mit Beziehungssabotage eine lebenslange Aufgabe ist. Bei mir gibt es ein Muster in meinem Verhalten, das ich wegen meinem Glaubenssystem habe. Ich fühle mich in meinen Beziehungen nicht gut genug und habe oft das Gefühl, dass ich die Liebe nicht verdiene. Manchmal, wenn ich richtig glücklich bin, überkommt mich gleichzeitig eine Angst, dass mir das alles wieder genommen wird.
Sprecher
Die Schutzstrategien sollen Menschen helfen, nicht so leicht verletzt werden zu können; Sie sollen den Erwachsenen helfen, sich nicht wieder wie hilflose Kinder zu fühlen. Und den Schutzstrategien liegen wiederum Glaubenssätze aus der Kindheit zugrunde. Doch wie kann man mit negativen Glaubenssätzen und der daraus entstehenden Beziehungssabotage am besten umgehen?
O-Ton 19 Raquel Peel (00`39) /
VO-Weiblich:
Zuallererst müssen wir erkennen, dass wir uns selbst und die Beziehung sabotieren und unsere Glaubenssätze die Ursache sind. Unsere negativen Glaubenssätze sind der Grund, warum die Beziehung nicht funktioniert. Nur zusammen mit dem Partner, der Partnerin können wir die Angst überwinden, können wir in unseren Ängsten gesehen und gehört werden und verletzlich sein. Es braucht also Kommunikation, es braucht Zusammenarbeit.
Sprecher
Es ist also wichtig herauszufinden, was eigentlich die Schutzstrategie ist und welcher Glaubenssatz der Strategie zu Grunde liegt, damit man die Beziehungssabotage auch bewusst beenden kann. Sich dem Partner, der Partnerin so zu öffnen, birgt aber eine Gefahr …
Musik: Disturbing factors 0‘26
Sprecher
… nämlich wirklich verletzt werden zu können.
***Musikzäsur***
Sprecher
Glaubenssätze wollen sich selbst bestätigen – dafür sabotieren Menschen teilweise sogar sich selbst und ihre eigenen Beziehungen. Und den Grund dafür können Neurowissenschaftlerinnen und Neurowissenschaftler sogar im Gehirn nachweisen:
O-Ton 20 Franca Cerutti (00`33)
Das liegt daran und das ist echt ein bisschen tragisch, dass unser Gehirn mit einer winzigen Dopaminausschüttung reagiert, wenn es recht hat. Das heißt, selbst wenn negativste Vorannahmen bestätigt werden, macht unser Gehirn ein ganz kleines „Chaka!“ und sagt: Ich hatte recht. Und das erhält es sozusagen auch noch ein bisschen mit aufrecht und macht es manchmal noch schwieriger, Gegenbeweise gegen so negative innere Überzeugungen zu suchen. Denn das ist viel, viel mühsamer.
Sprecher
Laut einer Studie der Havard-Universität hören wir bis zu unserem 18. Lebensjahr über 180.000 negative Suggestionen; oder um im Bild der Tropfsteinhöhle zu bleiben: Über 180.000 Tropfen schmutzigen Wassers, die zu festen Stalagmiten und Stalaktiten in uns werden können.
Keine erfreulichen Aussichten. Aber kann man negative Glaubenssätze auch wieder loswerden?
O-Ton 21 Franca Cerutti (00`37)
Also manchmal lese ich das so in Zeitschriftenartikeln oder so, dass man Glaubenssätze löschen kann. Und das stimmt halt faktisch einfach nicht. Denn tief verinnerlichte Überzeugungen, die sind ja rein hirnphysiologisch betrachtet übersetzbar als Nervenverbindungen, die nun mal existieren. Und die lassen sich überhaupt nicht löschen. Es geht darum, dass man neue Strukturen schafft, die mindestens genauso fest werden und neue Verbindungen eingehen. Und dass es eben die positive Konkurrenz gibt; löschen geht im Gehirn so gut wie gar nicht.
Musik: What is it (reduced) 0‘43
Sprecher
Oder um im Bild der Tropfsteinhöhle zu bleiben: man kann die verhärteten Stalagmiten und Stalaktiten nicht einfach zerschlagen. Man muss sich selbst neue Tropfsteine wachsen lassen; Und dafür muss man auch nicht unbedingt in Therapie gehen
Sich beim Denken beobachten, so die negativen Glaubenssätze identifizieren und bewusst mit positiven Gedanken gegensteuern. Klingt eigentlich einfach. Also „Ich kann alles schaffen“ statt „Ich kann das nicht“!?
O-Ton 23 Franca Cerutti (00‘30)
Ich erlebe es in der Praxis auch häufig, dass Menschen sich Affirmationen raussuchen und die sagen, die sich dann lächelnd vor dem Spiegel oder schreiben die in ihr Dankbarkeitstagebuch. Und empfinden das aber als unglaubwürdig, weil eben vielleicht ein entgegenstehender Glaubenssatz genau das Gegenteil behauptet, so dass sich die Affirmation affig anhört. Und deshalb arbeite ich ganz gerne mit den sogenannten ‚Iffirmationen‘.
Sprecher
Iffirmationen: eine Mischung aus Affirmationen, also positiven lebensbejahenden Sätzen und dem englischen Wort „If“, was so viel wie „wenn“ bedeutet. Diese Iffirmationen können dann so klingen:
O-Ton 24 Franca Cerutti (00‘25)
Und was ist, wenn das doch gut genug war? Und was ist, wenn ich genau das geliefert habe, was erwartet war? Und was ist, wenn das vollkommen ausreichend war? So, also es muss nicht ein „Ich bin die Beste“ dagegengehalten werden, sondern so sobald man merkt „Oh, das war nicht gut.“ „Und was ist, wenn das doch gut war?“ „Oh, da habe ich jetzt wieder zu viel gequatscht.“ „Und was ist, wenn ich unterhaltsam war und nicht zu viel gequatscht hab?“
Sprecher
In ihrer Praxis macht Franca Cerutti ganz unterschiedliche Erfahrungen damit, wie lange es dauert, bis die Iffirmation zum Automatismus wird. Aber unterm Strich, sagt sie, klappe es immer. Und auch Emily hat ihre eigene Taktik gefunden, um mit ihrem Glaubenssatz „Ich bin zu viel“ umzugehen. Früher hat sie lange WhatsApp-Nachrichten an ihre Freundinnen geschickt und sich entschuldigt:
O-Ton 25 Emily (00`31)
Ich habe angefangen eher nachzufragen. Also dass ich dann so bin. „Hey, ich hatte voll den schönen Abend! Habe ich dich genervt? War es irgendwie schlimm oder so?“ Und ich habe angefangen, den Leuten zu glauben, wenn sie sagen: „Es war voll okay, Ich hatte auch voll den
schönen Abend.“
Musik: Finding the answer 0‘38
Sprecher
Glaubenssätze sind so unterschiedlich wie das Leben der Menschen. Und wir alle haben sie: gute und schlechte. Manche haben hartnäckigere negative Glaubenssysteme in sich, anderen fällt es leichter, sie durch positive Glaubenssätze zu ersetzen. Und Emily – sie ist ihren Eltern dankbar, dass sie keine rücksichtslose Gesprächspartnerin geworden ist, die andere ständig unterbricht. Sie kann ihrem negativen Glaubenssatz auch was Positives abgewinnen.
O-Ton 26 Emily (00`45)
Vielleicht steckt auch was Gutes darin. Ich weiß noch, wir haben uns damals im Deutsch LK haben wir uns irgendwann so Zettel auf den Rücken geklebt mit irgendwie Sachen, die wir cool aneinander fanden oder so und es war alles anonym und ich weiß noch, mir hat jemand einen Zettel auf den Rücken geklebt. Den habe ich bis zum heutigen Tage. Mir hat jemand da reingeschrieben: Ähm, du, du bist ein sehr witziger Mensch. Ähm, und es hat jemand geschrieben
Musik: Everyone sleeps 0‘45
Du redest sehr viel und ich weiß noch, ich wollte den Zettel zerknüllen und wegschmeißen, aber die Person hat geschrieben ‚Du redest sehr viel, aber du passt auch immer auf, dass alle anderen zu Wort kommen‘. Und diesen Zettel hab ich und ich hab gedacht: Ganz ehrlich: Das ist doch das Beste, was mir passieren kann!
2568 episod
Manage episode 449894572 series 2459771
Jeder Mensch trägt tiefe Überzeugungen über sich selbst, seine Mitmenschen und die Welt in sich. Diese Glaubenssätze sind die Brille, durch die jeder dann seine eigene Realität sieht. Wie kommen die Glaubenssätze in uns? Kann man negative Glaubenssätze löschen und welche Auswirkungen haben sie auf unsere Beziehungen? Von Victoria Marciniak
Credits
Autorin dieser Folge: Victoria Marciniak
Regie: Sabine Kienhöfer
Es sprachen: Andreas Neumann, Marlen Reichert
Technik: Andreas Lucke
Redaktion: Bernhard Kastner
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Joschiko-Emily Eckstein, arbeitet im Bereich HR
Franca Cerutti, Psychotherapeutin;
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Sprecher
Ein zerknülltes gelbes Post-it aus ihrer Schulzeit. Es liegt sicher versteckt in einem Schuhkarton in ihrem Zimmer. An den kleinen Zettel wird Emily noch sehr oft denken. Auch heute. An einem gemütlichen Abend im Dezember. Weihnachtszeit. Und die Psychologie-Studentin Emily sitzt in der WG-Küche ihrer drei besten Freundinnen und trinkt eine heiße Tasse Tee. Sie philosophieren über Gott und die Welt; und irgendwann unterhält Emily sie alle mit Anekdoten aus den unterschiedlichsten Theaterstücken, in denen sie mitgespielt oder die sie angeschaut hat. Ihre Freundinnen weinen vor Lachen.
O-Ton 01 Emily (00`06)
Das ist einfach so ein richtiger Moment von „Hey, hier bin ich angekommen.“ Ein 10 von 10 Abend.
Sprecher
Eine 10/10, also volle Punktzahl für den scheinbar perfekten Abend. Zumindest – bis Emily sich von ihren Freundinnen verabschiedet. An der Haustür sagen sie sich noch, wie schön der gemeinsame Abend gewesen ist und dass sie sich ganz bald wiedersehen müssen. Sie umarmen sich, Emily dreht sich um, dann fällt die Tür hinter ihr ins Schloss (Atmo: Tür geht zu):
O-Ton 02 Emily (00`55)
Und dann ist es wirklich so mit einem Mal, dass auf einmal mir mein Kopf so ein Querpass schießt und dann sagt „Moment mal, aber war es wirklich so geil, wie du dachtest? Oder war es vielleicht nur für dich geil, weil du wieder die ganze Zeit geredet hast? Und ist dieses: Hmm, hast bestimmt allen erzählt, dass du total viel Theater gespielt hast. Meinste die hat das interessiert?“ Und dann versuche ich noch zu sagen „Nee, aber es wird ja auch ganz oft nachgefragt und die haben ja total viel gelacht, als ich auch diese Story erzählt hab.“ Und dann kommt sofort dieses „Hmm, nennt sich Höflichkeit, nennt sich Sozialkompetenz, was andere Leute haben.“ Und es ist ganz krass, weil mit jedem Schritt, den ich gehe und den ich mich halt weiter aus dieser Situation entferne, verliere ich dann irgendwie den Zugang zu dieser Situation. Und dass ich dann wirklich auf diesem Weg nach Hause auf einmal anfangen musste zu weinen, weil ich das Gefühl hatte „Hey, ich bin ein Riesenarschloch.“
Atmo (Schritte und Wind)
Musik: Train journey 0‘22
Sprecher
Vier Kilometer – So weit läuft Emily von der WG ihrer Freundinnen zu sich nach Hause. Sie muss den Kopf frei kriegen. Aber ihr Kopf spielt immer und immer wieder Szenen ab, wie sie ihre Freundinnen unterbricht, wie sie zu laut lacht, wie sie zu viel Aufmerksamkeit fordert. Sie holt ihr Handy aus der Tasche und noch auf dem Weg nach Hause schreibt sie weinend ihren Freundinnen Text-Nachrichten, in denen sie sich entschuldigt (erst SFX Handytastatur-Tippen und dann Nachrichten-Pling vor jedem „Sorry“): Sorry, dass ich so viel übers Theater geredet habe. Sorry, dass ich zu laut war. Sorry, dass ich dich unterbrochen habe. Sorry, dass wir so lange über meine Geschichte geredet haben. Sorry... Pling, Pling, Pling
*bisschen längere Pause*
O-Ton 03 Franca Cerutti (00‘16)
Glaubenssätze haben häufig so eine konditionale Struktur, die uns sehr stark nahelegen, wie wir sein sollen oder wie wir uns verhalten sollen. Wenn ich immer lieb bin oder immer höflich bin, dann werde ich geliebt.
Sprecher
Franca Cerutti ist Psychotherapeutin und Psychologie-Podcasterin.
Eines ihrer Lieblingsthemen: Glaubenssätze, also feste Überzeugungen, die jeder Mensch in sich trägt. Aber eigentlich, sagt sie, sind es eher ganze Glaubenssysteme.
O-Ton 04 Franca Cerutti (00`27)
Also ein Glaubenssatz, der mich selber betrifft, könnte ja zum Beispiel lauten: „Ich muss fleißig sein und leistungsstark, um Anerkennung zu bekommen.“ Und der ist aber vielleicht verknüpft mit einem Glaubenssatz, der dann eher so die gesamte Gesellschaft betrifft. Der lautet dann so was wie „Ohne Fleiß kein Preis“. Und das ist wiederum geknüpft an so eine gesamtgesellschaftliche Erwartung.
Musik: Mansplaning 1‘00
Sprecher
Also: Glaubenssätze stehen nicht isoliert da. Sie hängen oft eng mit anderen Glaubenssätzen zusammen. Und dieses Glaubenssystem bestimmt die Art und Weise, wie man sich selbst, Beziehungen und das Umfeld bewertet und einsortiert.
O-Ton 05 Emily (00`18)
Der Glaubenssatz von mir, der sich eigentlich in allen anderen Glaubenssätzen von mir auch widerspiegelt, ist: Ich bin zu viel. Also dieses ich bin too much. Ich bin zu viel. Ich brauche zu viel Aufmerksamkeit oder ich fordere zu viel Aufmerksamkeit. Ich glaube, das ist eigentlich das, was es ganz, ganz gut zusammenfasst.
Sprecher
Nicht nur Emily – Alle Menschen weltweit haben Glaubenssätze bzw. Glaubenssysteme in sich. Sowohl gute wie „Ich bin genug“, „Die Welt ist ein schöner Ort“ oder „Ich kann anderen vertrauen“. Aber eben auch negative Glaubenssätze. Und die haben alle – auch die ganz großen Stars.
O-Ton 06 Franca Cerutti (00`45)
Ich habe irgendwann mal gelesen, dass das Topmodel Kate Moss, die ja nun wirklich, wie gesagt ein weltbekanntes Topmodel war und mit ihrem sehr guten, überdurchschnittlichen Aussehen Geld verdient hat. Das war ihr Beruf. Dass sie dennoch tiefe Glaubenssätze hatte, sie sei unattraktiv und sie hätte ein hässliches Gesicht. Und ich finde, das zeigt noch mal sehr stark, wie unglaublich krass auch eigentlich das reale Leben und der Glaubenssatz auseinander gehen können.
Sprecher
Eine Frau, die glaubt, dass sie zu laut sei und eine andere, die glaubt, dass sie nicht schön genug sei. Typische Glaubenssätze von Frauen, sagt Psychotherapeutin Franca Cerutti. Sie erkennt in ihrer Praxis durchaus Unterschiede in den Glaubenssätzen von Männern und Frauen.
O-Ton 07 Franca Cerutti (00`25)
Keine Evidenz, nur mein Eindruck. Aber bei Männern habe ich häufiger leistungsbezogene Glaubenssätze. Da geht es dann häufig um nicht gut genug sein im Leistungssinn. Und bei Frauen geht es häufig um Beziehungen und Attraktivität. Als Mensch, als Partnerin. Oder wie gut bin ich als Mutter oder so. Schon sehr rollenspezifisch manchmal noch.
Musik: Genetics 0‘30
Sprecher
Negative Glaubenssätze können sich in banalen Alltagssituationen bemerkbar machen, wie: Am freien Tag unwichtige Aufgaben erledigen, anstatt zu entspannen, weil man das Gefühl hat, immer was leisten zu müssen. Oder sie zeigen sich nach einem Treffen mit guten Freundinnen. Aber woher kommt das Gefühl von Emily - selbst bei guten Freundinnen-, zu viel, zu laut, zu nervig zu sein?...
Pause-Atmo (Spannungsaufbau)
… Wie entstehen Glaubenssätze?
O-Ton 08 France Cerutti (00‘46)
Ich stelle mir das so vor, dass wenn wir groß werden in unserer Kernfamilie, aber natürlich auch in der Schule, im Umfeld, dass all das in uns immer so Informationen hinein träufelt. Ich denke da manchmal eine Tropfsteinhöhle, wo so nach und nach eben etwas hineintropft. Und wenn an einer Stelle immer wieder etwas rein geträufelt wird, dann bildet das irgendwann verhärtete Strukturen. Und damit meine ich übertragen jetzt auf die Psychologie, dass wenn ich immer wieder bestimmte Informationen darüber erhalte, wie ich bin oder sein soll, oder wie die Welt da draußen ist oder sein soll, dann verhärtet das auch in mir und bildet so was wie Stalaktiten und Stalagmiten.
Musik: What is it (reduced) 0‘37
Sprecher
Und diese Tropfen können aus den verschiedensten Richtungen kommen, zum Beispiel: immer wiederkehrende Kleinigkeiten im Alltag; implizierte Erfahrungen, wie die Beziehung der Eltern zu beobachten; sehr eindrückliche einmalige Ereignisse, wie zum Beispiel ein Trauma; vor allem aber entstehen Glaubenssätze in der Kindheit: Oft sind es auch unbedachte Sätze von Mama oder Papa, die an den Kinderohren hängenbleiben. So wie bei Emily.
O-Ton 09 Emily (00`45)
Und eine Situation, das weiß ich noch sehr, sehr genau. Da saß ich am Essenstisch und ich glaube, ich war sieben oder acht. Und ich habe sehr viel geredet. Und dann hat mein Vater irgendwann gesagt „Ja, aber was wolltest du denn jetzt eigentlich sagen?“ Und dann hab ich das halt noch mal gesagt und noch mal blumiger. Und mein Vater stand da: „Was wolltest du sagen? Was hast du? Was hast du jetzt gerade zum Gespräch beigetragen?“ Und natürlich hatte ich nichts beigetragen. Also im Endeffekt war das halt so eine erzieherische Maßnahme, wo mein Vater mir sagen wollte: okay, gut, hey, Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. Bei mir ist es so stark im Gedächtnis geblieben, weil ich hab mich so geschämt, weil ich halt so das Gefühl habe, ich wurde so vorgeführt.
Sprecher
Dieser Tropfen auf Emilys Glaubenssatz-Stalagmit ist ihr besonders in Erinnerung geblieben. Aber dem Tropfen gehen viele kleinere Tropfen voraus: dass Emily sprechen konnte, bevor sie laufen konnte; dass ihre Eltern wahnsinnig stolz darauf waren und dass die kleine Emily bei jeder Party ihrer Eltern eine große Attraktion war; dass es okay war, die Erwachsenen zu unterbrechen, weil alle so beeindruckt davon waren, wie gut sie für ihr Alter sprechen kann. Bis sie älter wurde und die Erwachsenen nicht mehr beeindruckt, sondern genervt waren, wenn sie unterbrochen wurden.
O-Ton 10 Emily (00`25)
Und ich weiß noch, ich habe das als Kind nicht verstanden, warum in manchen Situationen wars toll und dann war ich witzig und in wieder anderen Situationen war es dann total nervig und nee, und jetzt geh mal spielen und hör mal auf damit.
Das hat bei mir dann ganz, ganz häufig dazu geführt, dass ich einfach super, super große Angstzustände dann nach so sozialen Großveranstaltungen hatte, weil ich halt nie wusste, okay, ist das eine, wo ich reden darf oder eine, wo ich nicht reden darf.
Sprecher
Eine Studie um Vincent Felitti aus dem Jahr 1998 hat gezeigt: Wer sich eher an negative Momente aus der Kindheit erinnert, kämpft auch im Erwachsenenalter mit Problemen. Umgekehrt gilt: positive Erinnerungen machen das Leben leichter. ABER: Entwicklungsforscher von der University of Minnesota haben vor ein paar Jahren eine neue Studie vorgelegt. Die zeigt, dass sich erwachsene Kinder oft verzerrt an die Eltern-Kind-Beziehung erinnern. Und dabei scheint die aktuelle Beziehung einen großen Einfluss zu haben. Heißt also: Je besser man sich mit den Eltern in der Gegenwart versteht, desto positiver sind auch die Erinnerungen an die Vergangenheit.
O-Ton 11 Franca Cerutti (00`45)
Unterm Strich glaube ich inzwischen, dass man als Eltern im Grunde vieles auch unbeabsichtigt, vielleicht in Anführungsstrichen falsch macht, obwohl man in bester Absicht gehandelt hat. Ich glaube, dass manchmal Dinge, die man unbedacht sagt, das Kind in einem verletzlichen Zeitfenster ganz ungut erwischen können. Ich glaube aber auch, dass das Gegenteil stimmt, dass, wenn wir im Großen und Ganzen gut mit unseren Kindern sind, wir auch sehr viele gute Glaubenssätze mitgeben können.
Musik: Futuristic workflow 0‘30
Sprecher
… Übrigens ist es auch normal, sich nicht an so konkrete Situationen erinnern zu können, wie Emily das tut. Das ist auch gar nicht nötig, um die eigenen Glaubenssätze zu finden. Wer seine eigenen Glaubenssätze erforschen will, muss eigentlich nur eine Sache tun, nämlich: Sich selbst beim Denken beobachten.
O-Ton 12 Franca Cerutti (00’35)
Wann immer man sich beim Denken beobachtet, sich fragen: Stimmt das wirklich, was ich gerade denke? Oder könnte auch das Gegenteil der Fall sein? Oder würde das jeder so sehen? Ist das jetzt vielleicht ein Glaubenssatz von mir oder ist das so was wie eine absolute Wahrheit? Und häufig genug kommen wir dahinter, dass das natürlich eine erworbene Überzeugung ist und nicht etwa ein Naturgesetz.
*** Denkpause***
Sprecher
Das Gehirn liebt es, recht zu behalten – also tut es alles dafür, um nur das zu sehen, was unsere Glaubenssätze auch bestätigt. In der Kognitionspsychologie nennt man das: „Confirmation bias“.
O-Ton 13 Franca Cerutti (00`45)
Wenn ich von mir selber glaube, ich bin ungeschickt oder ich bin dumm oder so was, dann werde ich mich an 1.000 Situationen erinnern, die genau das scheinbar bewiesen haben. Und ich werde auch besonders aufmerksam sein für Situationen, die genau zu dieser Überzeugung passen. Und dadurch werde ich genau diese negative Überzeugung über mich selbst immer weiter festigen. Das es aber gleichzeitig wahrscheinlich 1.000 Gegenbeweise gibt, in denen ich sehr clever war oder überhaupt nicht ungeschickt. Genau diese Situation, die nicht zu meinem Glaubenssatz passen, die verarbeite ich nicht in der gleichen Tiefe. An die erinnere ich mich auch weniger und sie scheinen nicht die gleiche Macht über mich zu haben.
Musik: Mansplaning 0‘23
Sprecher
Negative Glaubenssätze können nicht nur für einen selbst, sondern auch für Freundschaften und die Partnerschaft problematisch sein. Nämlich dann, wenn der Mensch mit den negativen Glaubenssätzen anfängt, sich selbst und seine Beziehung unbewusst zu sabotieren.
O-Ton 15 Franca Cerutti (00‘43)
Also wenn zum Beispiel jemand sehr negative Beziehungsschemata hat, also sprich großes Misstrauen in Beziehungen und vielleicht einen Glaubenssatz, der lautet: Immer, wenn ich jemanden liebe, werde ich sowieso verlassen. Das hat vielleicht biografische Gründe, warum das jemand glaubt. Dann kann es passieren, dass aufgrund des großen Misstrauens und aufgrund der großen Angst, diese Beziehung jetzt zu verlieren, man ein ängstliches, misstrauisches Verhalten der Partnerperson gegenüber zeigt, was dann tragischerweise die Beziehung eigentlich sabotiert und was eigentlich genau dazu beiträgt, was man ja insgeheim fürchtet, nämlich dass man verlassen werden wird.
Sprecher
Negative Glaubenssätze sind also eine sich selbst erfüllende Prophezeiung – und sabotieren auch heimlich Partnerschaften. Mit Beziehungssabotage kennt sie sich aus:
O-Ton 16 Raquel Peel (00‘02)
Thank you so much for having me… (ausfaden/nicht übersetzen)
Sprecher
Dr. Raquel Peel. Sie lehrt Psychologie an der „University of Notre Dame“ in Australien und beschäftigt sich seit über zehn Jahren mit Paarbeziehungen. Sie weiß, was eigentlich hinter der Beziehungssabotage steckt:
O-Ton 17 Raquel Peel (00`43) /
VO-Weiblich:
Die treibende Kraft dafür ist höchstwahrscheinlich: Angst. In meinen Untersuchungen haben die Menschen immer wieder davon gesprochen, dass sie Angst davor haben, in einer Beziehung verletzt zu werden. Sie haben Angst vor Ablehnung, vor Verpflichtungen. Oft ist es auch so, dass so eine Angst in einer Beziehung dazu führt, dass wir Schutzstrategien entwickeln, um uns selbst und unsere Gefühle zu schützen.
Sprecher
Schutzstrategien, um nicht verletzt zu werden, können ganz unterschiedlich aussehen. Zum Beispiel, sich nicht ganz auf den Partner oder die Partnerin einlassen – und sich einen „Plan B“ warmhalten.
Musik: Ssecret proofs 0‘36
Raquel Peel weiß, wovon sie spricht, wenn es um Glaubenssätze und Beziehungssabotage geht: Sie wurde nach ihrer Geburt von ihren Eltern in einem öffentlichen Krankenhaus zurückgelassen – als Frühgeburt und ziemlich krank. Die Krankenschwester, die sich um sie kümmerte, hat sie schließlich zusammen mit ihrem Mann adoptiert. Peel sagt zwar, sie habe eine sehr liebevolle Familie. Trotzdem trage sie negative Glaubenssätze in sich.
O-Ton 18 Raquel Peel (00`36) /
VO-Weiblich:
Ich glaube, dass der Umgang mit Beziehungssabotage eine lebenslange Aufgabe ist. Bei mir gibt es ein Muster in meinem Verhalten, das ich wegen meinem Glaubenssystem habe. Ich fühle mich in meinen Beziehungen nicht gut genug und habe oft das Gefühl, dass ich die Liebe nicht verdiene. Manchmal, wenn ich richtig glücklich bin, überkommt mich gleichzeitig eine Angst, dass mir das alles wieder genommen wird.
Sprecher
Die Schutzstrategien sollen Menschen helfen, nicht so leicht verletzt werden zu können; Sie sollen den Erwachsenen helfen, sich nicht wieder wie hilflose Kinder zu fühlen. Und den Schutzstrategien liegen wiederum Glaubenssätze aus der Kindheit zugrunde. Doch wie kann man mit negativen Glaubenssätzen und der daraus entstehenden Beziehungssabotage am besten umgehen?
O-Ton 19 Raquel Peel (00`39) /
VO-Weiblich:
Zuallererst müssen wir erkennen, dass wir uns selbst und die Beziehung sabotieren und unsere Glaubenssätze die Ursache sind. Unsere negativen Glaubenssätze sind der Grund, warum die Beziehung nicht funktioniert. Nur zusammen mit dem Partner, der Partnerin können wir die Angst überwinden, können wir in unseren Ängsten gesehen und gehört werden und verletzlich sein. Es braucht also Kommunikation, es braucht Zusammenarbeit.
Sprecher
Es ist also wichtig herauszufinden, was eigentlich die Schutzstrategie ist und welcher Glaubenssatz der Strategie zu Grunde liegt, damit man die Beziehungssabotage auch bewusst beenden kann. Sich dem Partner, der Partnerin so zu öffnen, birgt aber eine Gefahr …
Musik: Disturbing factors 0‘26
Sprecher
… nämlich wirklich verletzt werden zu können.
***Musikzäsur***
Sprecher
Glaubenssätze wollen sich selbst bestätigen – dafür sabotieren Menschen teilweise sogar sich selbst und ihre eigenen Beziehungen. Und den Grund dafür können Neurowissenschaftlerinnen und Neurowissenschaftler sogar im Gehirn nachweisen:
O-Ton 20 Franca Cerutti (00`33)
Das liegt daran und das ist echt ein bisschen tragisch, dass unser Gehirn mit einer winzigen Dopaminausschüttung reagiert, wenn es recht hat. Das heißt, selbst wenn negativste Vorannahmen bestätigt werden, macht unser Gehirn ein ganz kleines „Chaka!“ und sagt: Ich hatte recht. Und das erhält es sozusagen auch noch ein bisschen mit aufrecht und macht es manchmal noch schwieriger, Gegenbeweise gegen so negative innere Überzeugungen zu suchen. Denn das ist viel, viel mühsamer.
Sprecher
Laut einer Studie der Havard-Universität hören wir bis zu unserem 18. Lebensjahr über 180.000 negative Suggestionen; oder um im Bild der Tropfsteinhöhle zu bleiben: Über 180.000 Tropfen schmutzigen Wassers, die zu festen Stalagmiten und Stalaktiten in uns werden können.
Keine erfreulichen Aussichten. Aber kann man negative Glaubenssätze auch wieder loswerden?
O-Ton 21 Franca Cerutti (00`37)
Also manchmal lese ich das so in Zeitschriftenartikeln oder so, dass man Glaubenssätze löschen kann. Und das stimmt halt faktisch einfach nicht. Denn tief verinnerlichte Überzeugungen, die sind ja rein hirnphysiologisch betrachtet übersetzbar als Nervenverbindungen, die nun mal existieren. Und die lassen sich überhaupt nicht löschen. Es geht darum, dass man neue Strukturen schafft, die mindestens genauso fest werden und neue Verbindungen eingehen. Und dass es eben die positive Konkurrenz gibt; löschen geht im Gehirn so gut wie gar nicht.
Musik: What is it (reduced) 0‘43
Sprecher
Oder um im Bild der Tropfsteinhöhle zu bleiben: man kann die verhärteten Stalagmiten und Stalaktiten nicht einfach zerschlagen. Man muss sich selbst neue Tropfsteine wachsen lassen; Und dafür muss man auch nicht unbedingt in Therapie gehen
Sich beim Denken beobachten, so die negativen Glaubenssätze identifizieren und bewusst mit positiven Gedanken gegensteuern. Klingt eigentlich einfach. Also „Ich kann alles schaffen“ statt „Ich kann das nicht“!?
O-Ton 23 Franca Cerutti (00‘30)
Ich erlebe es in der Praxis auch häufig, dass Menschen sich Affirmationen raussuchen und die sagen, die sich dann lächelnd vor dem Spiegel oder schreiben die in ihr Dankbarkeitstagebuch. Und empfinden das aber als unglaubwürdig, weil eben vielleicht ein entgegenstehender Glaubenssatz genau das Gegenteil behauptet, so dass sich die Affirmation affig anhört. Und deshalb arbeite ich ganz gerne mit den sogenannten ‚Iffirmationen‘.
Sprecher
Iffirmationen: eine Mischung aus Affirmationen, also positiven lebensbejahenden Sätzen und dem englischen Wort „If“, was so viel wie „wenn“ bedeutet. Diese Iffirmationen können dann so klingen:
O-Ton 24 Franca Cerutti (00‘25)
Und was ist, wenn das doch gut genug war? Und was ist, wenn ich genau das geliefert habe, was erwartet war? Und was ist, wenn das vollkommen ausreichend war? So, also es muss nicht ein „Ich bin die Beste“ dagegengehalten werden, sondern so sobald man merkt „Oh, das war nicht gut.“ „Und was ist, wenn das doch gut war?“ „Oh, da habe ich jetzt wieder zu viel gequatscht.“ „Und was ist, wenn ich unterhaltsam war und nicht zu viel gequatscht hab?“
Sprecher
In ihrer Praxis macht Franca Cerutti ganz unterschiedliche Erfahrungen damit, wie lange es dauert, bis die Iffirmation zum Automatismus wird. Aber unterm Strich, sagt sie, klappe es immer. Und auch Emily hat ihre eigene Taktik gefunden, um mit ihrem Glaubenssatz „Ich bin zu viel“ umzugehen. Früher hat sie lange WhatsApp-Nachrichten an ihre Freundinnen geschickt und sich entschuldigt:
O-Ton 25 Emily (00`31)
Ich habe angefangen eher nachzufragen. Also dass ich dann so bin. „Hey, ich hatte voll den schönen Abend! Habe ich dich genervt? War es irgendwie schlimm oder so?“ Und ich habe angefangen, den Leuten zu glauben, wenn sie sagen: „Es war voll okay, Ich hatte auch voll den
schönen Abend.“
Musik: Finding the answer 0‘38
Sprecher
Glaubenssätze sind so unterschiedlich wie das Leben der Menschen. Und wir alle haben sie: gute und schlechte. Manche haben hartnäckigere negative Glaubenssysteme in sich, anderen fällt es leichter, sie durch positive Glaubenssätze zu ersetzen. Und Emily – sie ist ihren Eltern dankbar, dass sie keine rücksichtslose Gesprächspartnerin geworden ist, die andere ständig unterbricht. Sie kann ihrem negativen Glaubenssatz auch was Positives abgewinnen.
O-Ton 26 Emily (00`45)
Vielleicht steckt auch was Gutes darin. Ich weiß noch, wir haben uns damals im Deutsch LK haben wir uns irgendwann so Zettel auf den Rücken geklebt mit irgendwie Sachen, die wir cool aneinander fanden oder so und es war alles anonym und ich weiß noch, mir hat jemand einen Zettel auf den Rücken geklebt. Den habe ich bis zum heutigen Tage. Mir hat jemand da reingeschrieben: Ähm, du, du bist ein sehr witziger Mensch. Ähm, und es hat jemand geschrieben
Musik: Everyone sleeps 0‘45
Du redest sehr viel und ich weiß noch, ich wollte den Zettel zerknüllen und wegschmeißen, aber die Person hat geschrieben ‚Du redest sehr viel, aber du passt auch immer auf, dass alle anderen zu Wort kommen‘. Und diesen Zettel hab ich und ich hab gedacht: Ganz ehrlich: Das ist doch das Beste, was mir passieren kann!
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